Tellerrand

Gesunde Wut – Mr. Hide zeigt sich

Dezember 21, 2024 | by info@tellerrand.ch

gesunde_wut

Der Narzisst läuft über vor Wut. Er kann sie nicht filtern oder bei sich behalten. Ein brodelnder Vulkan der andauernd überläuft. Ganz im Gegensatz zu den Menschen die versuchen sich an den Narzissten anzupassen. Partner oder Kinder von Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung lernen ihre Wut fast vollkommen zu unterdrücken. Die Quelle versiegt. Scheinbar.

Diese Strategie sich an den Narzissten anzupassen kann vor allem für kleine Kinder lebensnotwendig sein. Ein faszinierender Schutzmechanismus unserer Psyche. Probleme entstehen wie so oft dann als Erwachsener wenn wir dieses Strategie nicht mehr loslassen können. Wie können wir die Energiequelle der gesunden Wut wieder erschliessen? Davon handelt dieser Text.

Eine verschüttete Ressource

Weil nicht sein kann was nicht sein darf – Christian Morgenstern – kam Wut gegen Aussen bei mir nicht vor. Wut wahrzunehmen oder geschweige den sie auszudrücken war unheimlich bedrohlich. Ich hab kein klares Bild im Kopf wie das Anti Wut Training verlaufen ist. An einem bestimmten Punkt muss ich sie als Kind gezeigt haben. Wahrscheinlich war die Gegenreaktion so vernichtend das ich mich dazu entschieden hab nicht mehr wütend zu werden.

Aziz Gazipura beschreibt in seinem Buch “Not Nice” ein hilfreiches Fallbeispiel. Er hat bemerkt das sein Sohn, nachdem er mit dem Kindermädchen zusammen war, merkwürdig “geladen” war. Er kam danach unnormal lange nicht zur Ruhe und war aufgedreht und aggressiv. Aziz war ratlos. Das Kindermädchen war die netteste Person die er kannte. Wenn sie mit seinem Sohn spielte war sie fast schon übertrieben nett. Penibel achtete sie darauf jede Form vom Aggression oder Gewalt auszuschliessen. Dann dämmerte es Aziz. Kinder haben noch keine natürlichen Filter um ihre Emotionen zurückzuhalten. Sein Sohn konnte seine natürliche gesunde Wut, sein “sich auszuprobieren und die Welt zu erkunden” nicht ausleben. Er unternahm darauf ein Experiment und versuchte besagte Aggression spielerisch mit seinem Sohn auszuleben. So kämpften Vater und Sohn mit Spielfiguren und Verkleidungen spielerisch miteinander. Siehe da, danach war sein Sohn deutlich ausgeglichener und konnte einfacher einschlafen.

Wie es der Zufall so will ist endet unser Bedürfnis die Emotion Wut auszuleben nicht mit dem Erreichen des Erwachsenen Alter. Aufgrund der vielen Herausforderungen und Anforderungen des Erwachsen Sein ist dies vielleicht sogar umso entscheidender.

“Sie sind wütend”. Dieser Satz stand im Raum. Nachdem er ihn gesagt hat liess mein Psychologe ihn den ganzen Raum einnehmen. Ich war irritiert von dem Satz. Wut kam in meiner Erfahrungswelt so überhaupt nicht vor. Niemals würde ich zugegeben das ich wütend bin. Angst, Selbstzweifel und Gedankennebel spürt ich hingegen ganz intensiv. Vielleicht am ehesten noch Wut gegen mich selbst. Ich hatte keine Worte dafür, wie eine fremde Sprache die ich nicht spreche. Natürlich war aber genau diese Wut reichlich vorhanden. Der Weg sie direkt wahrzunehmen und auszudrücken blieb mir verschlossen. Natürlich hat meine Wut ihren Weg nach draussen trotzdem gefunden. Wie sie es immer tut. Unterdrückte Wut kommt ans Licht wie der Luftballon der unter Wasser gedrückt wird.

All die stille Wut die über Jahrzehnte nicht ausgelebt wurde. „Mister Hyde“ der wirklich versteckt blieb. All die indirekte Energieumwandlung in körperliche Schmerzen, Angespanntheit und Selbstvorwürfe.

Wut befindet sich auf einem Spektrum. Wie so oft sind die Extreme ungesund. Zuviel Wut macht uns blind, dumm und zerstörerisch. Zu wenig Wut ist ist genau gleich schlimm. Unser Antrieb geht verloren, wir verlieren den Kontakt zu uns selber und sind ein Spielball unserer Umgebung. Für Menschen die zur Überanpassung neigen ist sie eine versteckte und kostbare Ressource. Wenn richtig eingesetzt entsteht so eine Quelle aus Antrieb, Kraft und Authentizität.

Der Werkzeugkasten

Ich will diese neue Sprache lernen. Das alte Vokabular der Überanpassung hat ausgedient. Ich will sie kennenlernen und nutzbar machen, die Wut. Ein möglicher “Native Speaker” auf diesem Feld ist besagter Aziz Gazipura. In seinem Buch “Not Nice” beschreibt er viele hilfreiche Sichtweisen und Werkzeuge um gesunde Wut zu entwickeln.

Eine sehr hilfreiche Einsicht ist der Unterschied zwischen Wut wahrnehmen und sie gegenüber Anderen auszudrücken. Bei mir hat die Zensur schon beim Wahrnehmen begonnen. Ich konnte sie bereits auf dieser Ebene nicht zulassen. Eine extreme Verunsicherung und Bedrohung die mich oft aus der Bahn warf. Unter grosser Anspannung und Paralyse hab ich sie zurückgehalten und bin falls möglich geflüchtet. Dieses Gefühl zulassen und akzeptieren zu können ist an sich schon eine grosse Befreiung. Der erste Teil im Umgang mit der Wut ist einzig und allein sie wahrnehmen und zulassen zu können. Mehr nicht.

Sobald wir erfahren genug sind das zu tun können wir ihr spielerisch Ausdruck verleihen. Auch hier haben wir noch kein einziges Wort an unser Gegenüber gerichtet. Wie der Vater der sich mit seinem Sohn mit Spielfiguren bekämpft verleihen wir der Wut auf eine sichere Art und Weise ein Gesicht. Wie in einem Theater Stück können wir sie in eine Figur mit Charakter und Sprechtext verwandeln. Wie würde deine Wut aussehen? Ein Axt schwingender Berserker oder kaltblütiger Racheengel? Was würde diese Figur sagen? Die Katharsis liegt darin das unterdrückte ans Licht zu bringen. Von den berühmten Gartenzwergen bis zum Schauspielstück vorm Spiegel ist alles möglich. Schon allein das kann helfen den Druck entscheidend abzubauen.

Gazipura erweitert den Werkzeugkasten noch mit der Arbeit am eigenen “Schatten”. Der dunkle Anteil unserer Persönlichkeit den wir nur allzu gerne unter Deck behalten.

Ich stehe selber erst am Anfang dieser spannenden Reise meine Wut neu entdecken zu dürfen. Merke aber jetzt schon wie befreiend es sich anfühlt.

Unterdrückte Wut und Überanpassung sind nur zwei von vielen Auswirkungen von narzisstischen Eltern. In dem Buch “Ego Perspektive” will ich dir einen Werkzeugkasten an die Hand geben um eine solche Beziehung überwinden zu können. Dieses und das Buch von Aziz Gazipura findest du unten verlinkt.


„Not Nice“ von Dr. Aziz Gazipura

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