Tellerrand

Der unendliche Freundeskreis oder wie viele Freunde passen auf ein Selfie?

Januar 9, 2025 | by info@tellerrand.ch

freundeskreis

Eine gute Freundschaft zu pflegen kostet Zeit. Zwei bis Drei bekommen wir davon im Leben. Wenn wir Glück haben. Der Überanpasser hingegen hat weitaus grössere Ambitionen. Seine Anzahl an Freunden ist unbegrenzt. Er kann nicht nicht befreundet sein. Mit jedem. Eine fatale Fehlkalkulation der eigenen Energie Reserven. Warum es für manche nicht aushaltbar ist nicht befreundet zu sein. Und was man dagegen machen kann.

Das Umfeld von Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ist hier in erhöhter Gefahr. Sie und alle andere Menschen die sich einer Strategie der Überanpassung verschrieben haben. Sie sind zu der Überzeugung gelangt das jede Form von Disharmonie, von ihnen aus, gelöscht werden muss. Das kleinste Anzeichen von Konflikt ist schwer auszuhalten. Damit einher geht eine verzerrte Grössenwahrnehmung. Alle Anderen werden als sehr viel grösser, stärker und damit bedrohlicher wahrgenommen als sie sind. Wenn also alle so viel mächtiger sind ist ist der einzige Ausweg Freunde zu machen. Konflikt ist keine Option im zwischenmenschlichen Werkzeugkasten.

Das Bauchgefühl des “People Pleasers”

Ich muss mit allen befreundet sein. Selbst mit den unmöglichsten Typen. Ja gerade die scheine ich anzuziehen. Es ist wie wenn ich mich sportlich herausgefordert fühle. Die denen sonst freiwillig keiner zuhören würde. Die die bereits jede Beziehung zu anderen Menschen überstrapaziert haben. Bei mir blühen sie auf. Meine Toleranz für schwierige Zeitgenossen scheint fast unbegrenzt. Wie automatisch versetze ich mich in sie hinein. Es gibt keinen Filter.

Vielleicht ist es garnicht so sehr das “Freunde sein”. Im Gegenteil das fühlt sich eher wie eine grosse Herausforderung an. Nein, es ist mehr die extrem bedrohliche Alternative davon. Nicht mit jemandem befreundet zu sein. Das kleinste Anzeichen von Konflikt oder Disharmonie aushalten zu können. Das ist der Kern des unendlichen Freundeskreises. Es ist nicht ein Anstreben. Es ist ein Vermeiden. Jedes filigrane Gebilde von Auseinandersetzung muss mit dem Vorschlaghammer des Einschmeichelns zertrümmert werden. Auch gibt es keine Zwischenstufen. Wenn jemand nicht mein Freund ist, ist er automatisch mein ärgster Feind. Ein Unvermögen anzuerkennen das man eine Person, trotz Meinungsverschiedenheiten, wertschätzen und respektieren kann. Ja vielleicht gerade dann. Schwarz Weiss Denken in ungesunder Form. Konflikt ist keine Option.

Man könnte es auch gewaltsames Befreunden nennen. Das nichts ahnende Gegenüber wird mit dem Freundesstatus überrumpelt. Was sich so friedliebend anhört ist in echt höchst aggressiv. Gleich mehrere persönliche Grenzen werden auf einmal übersprungen. Vielleicht spielt das Gegenüber sogar mit. Aber es weiss relativ genau das hier etwas nicht stimmt. Diese Annexion fühlt sich unnatürlich an.

Ein falsch verstandenes Verantwortungsgefühl kommt hinzu. Der Überanpasser ist überzeugt davon das es seine Aufgabe ist jede Form von Konflikt sofort auszulöschen. Die Feuerwehr fährt ungefragt mit vollem Fuhrpark aus. Das Konflikt etwas gesundes und hilfreiches sein kann entgeht ihm komplett. Er ist ein wertvoller Indikator für unsere persönlichen Grenzen. Diese Alarmglocke verstummt sofort.

Die Unverhältnismässigkeit dieses Vorhabens erschliesst sich mir nicht. Mit 3 guten Freunden kann ich in meinem Wohnzimmer Wein trinken. Wenn ich mit 1000 Freunden anstossen will endet es in einer Alkohol Vergiftung. 1000 Freunde in meinem Wohnzimmer sind ein Fall für den Statiker. In diesem Bild wird zumindest optisch klar das jedes Verhältnis verloren gegangen ist. In der Praxis sammele ich fleissig weitere “Freunde”.

Ich kann mich noch erinnern wie ich eines Tages mit einem Studenten Kollegen nach Hause gefahren bin. Er drehte sich zu mir um und fragte: “Warum nur versuchst du es allen Recht zu machen? Ist das nicht sehr anstrengend?”. Ich wusste keine Antwort darauf. Das ist einfach was ich tue. Was ich aber sicher weiss ist das ich es ändern will. Dabei kann folgende Übung hilfreich sein.


Ablehnung Toleranz


Die folgende Übung hab ich im Buch “Not Nice” von Aziz Gazipura gefunden. Ein spannendes Gedankenspiel um die eigene Toleranz für Konflikte zu erhöhen. Und damit die Fähigkeit persönliche Grenzen zu setzen. Was passiert in uns wenn Menschen uns nicht mögen? Was sagt das Bauchgefühl, schaffen wir den Realitätscheck noch? Es ist fast schon lächerlich die Katastrophen Fantasie dahinter sichtbar zu machen. Eine fantastische Erklärung was alles schreckliches passiert wenn wir nicht Freunde bleiben. Durch das Sichtbar machen verliert die Situation ihre Bedrohlichkeit. Wir machen einen Schritt zur Seite und merken das die Angst innen hohl ist.

Durchführung

Gazipura schlägt uns vor 15 Minuten ungestörte Zeit zu reservieren. In dieser sollen wir an jemanden denken den wir kennen und mögen. Jemanden von dem wir wollen das er uns mag. Schliesse deine Augen und stell dir vor das diese Person dich ablehnend behandelt für etwas das du getan oder nicht getan hast. Vorzugsweise etwas das du wirklich tun willst, nicht ein fiktive Sache.

Lass uns zum Beispiel annehmen das deine grösste Angst ist zu spät zu einem Meeting mit deinem Chef zu kommen. Wann immer du zu spät bist bekommst du eine kleine Panik Attacke. Schon während der Fahrt zerbrichst du dir den Kopf darüber wie schlimm es dieses Mal wieder sein wird. In dem Fall, stell dir vor du wärst zu spät fürs Meeting und dein Chef würde dich wissen lassen das er nicht begeistert ist.

Alternativ könnte es auch sein das du keine Lust immer für Alle Essen zu machen. Wenn du deinem Partner das mitteilen würdest bist du dir ziemlich sicher das er ungehalten reagieren würde. In deinem Kopf würde er dir aufzählen was er schon bereits alles für dich macht und bereits gemacht hat. Stelle dir so bildlich wie möglich vor wie du dein Anliegen vorträgst und wie dein Partner ungehalten darauf reagiert.

Fällt dir eine Konfliktsituation ein? Lass dir Zeit und experimentiere damit.

Stell dir einfach bildlich vor wie du durch diese Situation gehst. Lass deine Aufmerksamkeit frei wandern. Bringe Sie dann auf die Gefühle in deinem Körper. In welchem Teil deines Körpers bist du am meisten angespannt? Es könnte deine Brust, der Bauch oder dein Kopf sein. Vielleicht hängen deine Schultern durch und dein Kiefer spannt an. Was auch immer due fühlst, nimm es einfach war und lasse deine Aufmerksamkeit dort ruhen.

Soweit die Übung aus dem Buch von Gazipura. Eine spannende Erweiterung dieser Übung kann sein die Katastrophen Fantasie hinter unserer Angst auszuformulieren. Was sagt unser Bauch was alles schreckliches passieren wird in so einem Szenario. Ich schlage vor das einfach ungefiltert zu Papier zu bringen. Danach und mit etwas Abstand lohnt es sich es nochmal zu lesen. Ich selber hab bemerkt das meine Aangst unheimlich einfallsreich darin ist komplett überzogene Szenarien bildhaft an die Wand zu werfen. Diese Übertreibung und die damit zusammenhängende Komik zu erkennen kann uns helfen loszulassen.


Das erwähnte Buch von Aziz Gazipura kann ich dir nur wärmstens empfehlen wenn du aus der Falle des “People Pleasing” herauskommen willst:

„Not Nice“ von Dr. Aziz Gazipura

Mein Weg zum unendlichen Freundeskreis und dem Umgang mit einer Person mit narzisstischen Persönlichkeitsstörung findest du hier niedergeschrieben:



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